Zur Lage der Minderheiten in Rumänien

Vor mehreren Jahren haben Ungarn und Rumänien ein Abkommen über die Förderung der Kontakte zwischen den Bürgern dieser “sozialistischen” Länder unterzeichnet. Einem Uneingeweihten kann der Abschluss eines derartigen Vertrags unnötig und gar merkwürdig erscheinen. Es handelt sich ja um Länder, die zu dem gleichen politischen und ideologischen Lager gehören. Deshalb liesse sich annehmen, dass den Kontakten zwischen den Bürgern Ungarns und Rumäniens nichts im Weg stehen konnte. Dem ist aber nicht so.
Im Lauf der drei letzten Jahrzehnte liess das Verhalten Bukarests zu den in Rumänien lebenden nationalen Minderheiten, insbesondere zu den Ungarn, viel zu wünschen übrig. In Rumänien gibt es gegen 1,6 Millionen Ungarn. Die meisten von ihnen leben in dem im Nordosten des Landes gelegenen und an Ungarn grenzenden Transsilvanien.
Dieses Territorium war schon immer ein Zankapfel zwischen Ungarn und Rumänien. 1940 wurde Transsilvanien — auf Hitlers Anordnung — Ungarn zugesprochen. 1945 entschied sich der Kreml, der die kurz vor Kriegsende an die Macht gelangte rumänische Regierung unterstutzte, für die Rückgabe Transsilvaniens an Bukarest. Die westlichen Alliierten unterstützten die Angliederung des strittigen Territoriums an Rumänien. Hierdurch erfüllten sie ein Versprechen, das sie Bukarest noch während des Kriegs — im Fall von Rumäniens Bruch mit Nazi-Deutschland — gegeben hatten.
In den vergangenen 36 Jahren hat die ungarische Minderheit in Rumänien oft über Diskriminierung durch die Behörden geklagt. Diese Unzufriedenheit fand ihren Niederschlag im benachbarten Ungarn. Ungarn war und ist solidarisch mit seinen Landsleuten in Transsilvanien. Obwohl die ungarische Regierung — aus diplomatischer Rücksicht auf die Herrn im Kreml — vorsichtig handeln muss, nehmen sich zahlreiche Ungarn kein Blatt vor den Mund.
Die Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern werden auch dadurch verschärft, dass die rumänischen Behörden ihren ungarischen Mitbürgern — bei der Gewährung von Ausreisevisen (zwecks Familienzusammenführung und längerem Aufenthalt in Ungarn) — immer neue Hindernisse in den Weg legen.
Anfang der siebziger Jahre richtete Budapest in diesem Zusammenhang mehrere wohlbedachte und durchaus zurückhaltende diplomatische Noten an die rumänische Regierung.
Nach Unterzeichnung des Helsinki-Manifestes im Herbst 1975 scheute Budapest vor energischeren Massnahmen nicht mehr zurück. Die Verletzung der elementaren Menschenrechte (darunter des Auswanderungsrechts) durch das Ceausescu-Regime schafft immer neue Spannungen zwischen den beiden sozialistischen Nachbarländern.
Bekanntlich hat Washington Rumänien das Meistbegünstigungsrecht (auf dem Gebiet des Handels und der Tarife) eingeräumt. Die Wahrung dieses Status wurde von der Bukarester Politik auf dem Gebiet der Familienzusammenführung in direkten Zusammenhang gebracht.
In Rumänien leben 600.000 Deutsche. Die meisten von ihnen sind bestrebt, in die Bundesrepublik Deutschland auszuwandern. Präsident Nicolae Ceausescu hat sich in Fragen der Repatriierung der in Rumänien lebenden Deutschen als besonders empfindlich erwiesen.
“Familienzusammenführung lässt sich umgekehrt auch dann ermöglichen, wenn die Verwandten nach Rumänien übersiedeln”, erklärte Ceausescu. “Sämtliche nationalen Minderheiten unseres Landes”, fuhr er fort, “sind mit unserer Geschichte verbunden. Insbesondere bezieht sich das auf die deutsche Minderheit, die acht Jahrhunderte lang die Geschicke unseres Landes teilte. Sie ist in der rumänischen Heimat aufs tiefste verwurzelt. Ihr Platz ist hier, in unserem Land.
Allem Anschein nach handelt es sich nicht nur um rumänischen Nationalismus. Die nationalen Minoritäten (Ungarn, Deutsche und Juden) bilden etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerungszahl. Unter den Auswanderungswilligen gibt es zahlreiche Fachleute und geschulte Arbeiter. Deren Verlust wurde sich auf die Volkswirtschaft — insbesondere auf die Industrie — negativ auswirken.
In jüngster Zeit wurden den nationalen Minderheiten Rumäniens bessere Wohn- und Arbeitsverhältnisse in Aussicht gestellt. Auch das mit Budapest abgeschlossene Abkommen über die Förderung der Kontakte der Bevölkerung beider Länder ist darauf gerichtet, bestehende Spannungen abzubauen. Der Vertrag sieht die Erleichterung von Verwandtenbesuchen sowie die Intensivierung des Touristenaustausches vor. Dessenungeachtet häufen sich Berichte, denen zufolge es in Rumänien bei Gewährung von Ausreisevisen zu immer neuen Schwierigkeiten kommt. Ungarischerseits gibt es keine Komplikationen. Seit dem 1. Januar 1982 darf jeder Ungar einmal im Jahr eine Auslandsreise unternehmen (ost- oder westwärts — je nach Belieben).
Was die Auswanderung der rumänischen Juden nach Israel oder Amerika anbetrifft, so gibt es selbstverständlich keine freie Emigration. In einzelnen Fällen müssen rumänische Juden jahrelang um ihr Auswanderungsrecht kämpfen. Doch jedesmal, wenn der Meistbegünstigungsstatus Rumäniens der erneuten Sanktionierung durch den US-Kongress bedarf, kommt es zu einer Beschleunigung der Gewährung von Auswanderungspapieren. Auch Bukarest ist sich der finanziellen Vorteile des Judenhandels bewusst.

L.K.

[Aufbau Aug. 13, 1982. p.5]

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