Sylva Salmanson im Hungerstreik

Bericht aus New York

Ende September d. J. ist Sylva Salmanson, die erst im vorigen Jahr nach weltweiten Protesten vorfristig aus sowjetischer Halt entlassen wurde und nach Israel auswandern durfte, in New York in den Hungerstreik getreten. Ich sprach mit ihr am zehnten Tage ihres Hungerstreiks, den sie gegenüber dem UN-Gebäude in Manhattan durchführt. Sylva kämpft um das Recht, ihren Mann, den Häftlung Eduard Kusnezow, im sowjetischen Potma-Lager zu besuchen. Wie bekannt, gehörten Eduard Kusnezow, Sylva Salmanson und ihre beiden Brüder Wolf und Israel zu einer Gruppe sowjetisch-jüdischer Angeklagter, die 1970 im Leningrader Flugzeugentführungsprozeß zu langfristigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Kusnezow zu 15 Jahren (Eduard Kusnezow und Mark Dymschitz wurden ursprünglich zum Tode verurteilt. Jedoch sahen sich die sowjetischen Justizbehörden nach einer internationalen Protestwelle genötigt, die Todesstrafe durch 15jährigen Freiheitsentzug zu ersetzen. Sylva Salmanson wurde zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt. Kusnezow schrieb im Gefängnis und Lager seine auch ins Deutsche übersetzten “Tagebücher”.
Ich setzte mich an Sylvas Bett, um ihre leise Stimme besser zu vernehmen. Sylva erzählte mir, daß sie vor Aufnahme des Hungerstreiks den sowjetischen Innenminister Schtschelokow zweimal darum ersucht habe, ihr die Genehmigung zu erteilen, ihren Mann im Lager zu besuchen. Die Antwort der Sowjets war in beiden Fällen abschlägig.
Dadurch hätten die sowjetischen Behörden die Bestimmungen ihres eigenen Strafgesetzbuches verletzt, denen zufolge jedem Häftling das Recht auf den Besuch naher Verwandter (einschließlich der Ehefrau) mindestens einmal im Jahr zusteht.
Sylva erhält keine Briefe von ihrem Mann und ihren beiden Brüdern. Der KGB fängt die Briefe ab. Nur von ihrem in Riga lebenden Vater erhält Sylva von Zeit zu Zeit Nachrichten über den Gesundheitszustand ihres Mannes und ihrer Brüder. Eduard leidet an einem Magengeschwür, Wolf ist in letzter Zeit wegen Unterernährung und der schweren Arbeitsbedingungen sehr hinfällig geworden. Bei seinem letzten Besuch durfte der Vater seinen Sohn Israel nicht besuchen. Besuchsentzug sollte als zusätzliche Strafe dienen,” sagt Sylvia.
Später erfuhr ich, daß die Ärzte Sylva aus Gesundheitsgründen inständig dazu geraten hatten, den Hungerstreik einzustellen. Auch der israelische Außenminister Jigal Allon, der in Begleitung des israelischen UN-Vertreters Chaim Herzog die junge heldenmütige Frau einige Tage zuvor besucht hatte, versuchte Sylva zu überreden, ihre Gesundheit nicht weiter aufs Spiel zu setzen. (Sylvia wurde inzwischen in ein Krankenhaus eingeliefert und mußte ihren Hungerstreik aussetzen.)
In meiner Anwesenheit brachte man Sylva ein Päckchen Briefe und Telegramme von Freunden und Sympathisanten aus Israel, den USA, Kanada und anderen Ländern. “Das ist für mich eine große moralische Unterstützung”, sagt Sylva. Besondere Freude hat Sylva der Brief von Betty Ford, der Gattin des US-Präsidenten, bereitet. Mrs. Ford hat sich in ihrem Schreiben mit Sylvas Kampf um Gerechtigkeit solidarisch erklärt. Auch Hugh Carey, der Gouverneur des Bundesstaates New York, die US-Senatoren Buckley und Javits sowie andere prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben Sylva Solidaritätserklärunqen zukommen lassen. Mehrere amerikanische Fernseh- und Rundfunksendungen waren dieser Tage Sylvas Hungerstreik gewidmet. Die sowjetische UN-Mission in New York ist noch vor Aufnahme des Hungerstreiks von Sylvas Vorhaben in Kenntnis gesetzt worden.
Sylva Salmanson hat nach ihrer Auswanderung aus der UdSSR ihren Ständigen Wohnsitz in Israel, wo sie als Ingenieur tätig ist. Trotz der kurzen Zeit, die sie in Israel bisher verbracht hat, spricht sie fließend hebräisch. In Israel findet Sylva weitestgehende Unterstützung für ihre Bemühungen um die Erleichterung des Schicksals der jüdischen Häftlinge in der Sowjetunion.
Wie in New York bekannt wurde, hat Jigal Allon erklärt, daß das israelische Außenministerium sich des individuellen Falles von Eduard Kusnezow angenommen habe und gewisse Schritte unternehme, um seine vorfristige Entlassung zu ermöglichen.             L.K.

[?? Okt. 3, 1975. p.99]

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