Sowjetisch-iranische Beziehungen auf dem Tiefpunkt

Tudeh-Partei wird zum Prügelknaben des Khomeini-Regimes

In jüngster Zeit wurden zahlreiche sowjetische Diplomaten in westlichen Ländern (Frankreich. England u.a.) zu Personae non gratae erklärt und des Landes verwiesen. Die grosse Zahl der aus Frankreich ausgewiesenen Sowjetdiplomaten war besonders sensationell und unerwartet. Doch im Vergleich zu der radikalen Verschlechterung der sowjetisch-iranischen Beziehungen und der Ausweisung von 18 Moskauer Vertretern aus dem Iran, die der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes beschuldigt werden, sind die diplomatischen Konflikte zwischen der UdSSR einerseits und Frankreich und England andererseits von bedeutend geringerer historischer Tragweite.
Die sowjetischen Diplomaten mussten Teheran binnen 48 Stunden verlassen. Darunter waren Militärattachés, Botschaftsräte, Sekretäre der Sowjetbotschaft u.a.
Boldyrjew, der Botschafter der UdSSR in Teheran, durfte auf seinem Posten bleiben, und die sowjetisch-iranischen Beziehungen wurden nicht abgebrochen.
Diesen Ereignissen gingen zahlreiche Verhaftungen der leitenden Funktionäre der “Tudeh”-Partei (der kommunistischen Partei) des Irans voran. Viele von ihnen waren gezwungen, im Teheraner Fernsehen aufzutreten und einzugestehen, dass sie in ihrer Heimat als Sowjetagenten gewirkt hätten. Gleichzeitig mit der Ausweisung der 18 Sowjetdiplomaten wurde die Tudeh-Partei aufgelöst und als illegal erklärt.
Der Generalsekretär der Partei, Nareddin Kianuri, gestand im Teheraner Fernsehen, dass er seit 1945 Spionage zugunsten der Sowjetunion betrieben habe. Es lässt sich annehmen, dass derartige öffentliche Bekenntnisse unter Druck und Folter erzwungen wurden. Solche Eingeständnisse können durchaus als “gesetzliche Begründung” der Todesstrafe dienen.
Wie hat der Kreml auf diese antisowjetische Kampagne des Khomeini-Regimes reagiert? Während beispielsweise in der israelischen Knesset mehrere Kommunisten verschiedener Spielart vertreten sind und wegen ihrer ideologischen Überzeugung keineswegs verfolgt werden, brach Moskau 1967 — nach dem Sechstagekrieg — die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. Durch diese antiisraelische Geste hat der Kreml sich selbst grösseren Schaden zugefügt als er es gegenüber Jerusalem oder gar Washington tun konnte. Während die US-Diplomaten durchaus gute Beziehungen zu den Israelis und den meisten arabischen Ländern unterhalten, hat sich Moskau aus dem diplomatischen Spiel selber ausgeschaltet.
Im Fall Iran hat die Sowjetführung beträchtlich grössere Vorsicht walten lassen. Obwohl das Khomeini-Regime gegen die Moskauer Führung offen polemisiert, haben die Sowjets die bittere Pille geschluckt. Der Kreml hat sich darauf beschränkt, in der “Prawda” einen Artikel veröffentlichen zu lassen, in dem es heisst. die iranischen Behauptungen seien “völlig aus der Luft gegriffen”, und Teheran betreibe “eine böswillige antisowjetische Kampagne”. Was die Beschuldigungen anbetrifft, die Tudeh-Mitglieder hätten prosowjetische Spionage betrieben, streitet das Sowjetblatt diese iranische Behauptung kategorisch ab. Die “Prawda” stellt die bewusst naive Frage: “Was für Agenturmeldungen könnte denn überhaupt die Tudeh-Führung einer ausländischen kommunistischen Partei übermitteln?”
Im “Prawda”-Artikel heisst es auch, die jüngsten Massnahmen Teherans seien “Wasser auf Reagans antisowjetische Mühle”.
Worin liegen die eigentlichen Ursachen für die Zuspitzung des sowjetisch-iranischen Konflikts? Zwei Hauptfaktoren sind massgebend: l.) Die Rolle der zahlenmässig geringen Tudeh-Partei und 2.) Moskaus Machenschaften im iranisch-irakischen Krieg.
Trotz der heuchlerischen Behauptung der “Prawda”, die Tudeh-Partei habe stets eine unabhängige Politik betrieben, ist es allgemein bekannt, dass die iranischen Kommunisten ein gefügiges Werkzeug der KPdSU gewesen sind. Als der Schah noch an der Macht war, hatten die Tudeh-Leute in der DDR ihr Hauptquartier. Obwohl in jüngster Zeit diese Partei nur etwa 2000 aktive Mitglieder zählte, war ihr Einfluss auf die gegenwärtige politische Situation im Iran keineswegs gering.
Als die Khomeini-Anhänger den Schah stürzten, unterstützten die iranischen Kommunisten die islamischen Fundamentalisten im Lande. Der Atheismus sowjetischer Prägung wurde aus taktischen Gründen ignoriert. Manchen besonders eifrigen Tudeh-Mitgliedern gelang es, seitens der religiösen Fanatiker Khomeinis akzeptiert zu werden und wichtige Schlüsselpositionen zu erlangen. Während der Geiselnahme der US-Diplomaten sollen unter den islamischen “Studenten” — laut unbestätigten, jedoch nicht unwahrscheinlichen Berichten — Tudeh-Mitglieder eine wichtige Rolle gespielt haben.
In den letzten zwei Jahren war es den Tudeh-Funktionaren gelungen, sich in die “revolutionäre Garde” Khomeinis und in den iranischen Regierungsapparat einzuschleichen.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die iranischen Kommunisten im Solde Moskaus stehen. Aus Baku (Sowjetische Aserbaidschanische Republik) — unweit der iranischen Grenze — strahlen die Sowjets Tudeh-Sendungen aus. Die Kreml-Führung schloss die Möglichkeit von Khomeinis Sturz nicht aus. Die Tudeh-Partei sollte als Moskaus Fünfte Kolonne wirken. Im Fall eines Putsches in Teheran war den Tudeh-Leutcn eine wichtige Rolle zugedacht. Doch die Rechnung des Kremls ist — jedenfalls vorläufig — nicht aufgegangen.
Auch Moskaus Manipulationen im iranisch-irakischen Krieg haben zu der gegenwärtigen Spannung zwischen dem Kreml und Teheran beigetragen. Der Krieg zwischen den beiden islamischen Nachbarländern dauert schon über zweieinhalb Jahre. Ein Ende der Feindseligkeiten ist zurzeit nicht abzusehen. Es wurden Schlachten ausgetragen, bei denen es beiderseits grosse Verluste gab. Bis auf den heutigen Tag hat keine der beiden kriegführenden Mächte eine militärische Wende herbeiführen können. Eines der Hauptziele dieses interislamischen Kriegs ist das Bestreben beider Länder, das an der Macht stehende Regime des Gegners zu stürzen.
Die Aggression ging bekanntlich vom Irak aus. In den ersten Kriegsmonaten sah es so aus, als würden die Iraker den Sieg davontragen. In den beiden letzten Jahren gelang es jedoch den iranischen Streitkräften, die militärische Initiative an sich zu reissen. Erst in den letzten Monaten war das Kriegsglück wieder auf seiten der irakischen Angreifer.
Obwohl die UdSSR in diesem Krieg formell die Neutralität wahrt, haben die Sowjets — durch ihre Waffenlieferungen — die Hand mit im Spiel. Nach Abschluss des sowjetisch-irakischen Freundschaftsvertrags 1972 strömten Jahr für Jahr modernste sowjetische Waffen nach Bagdad. Dank der Moskauer Militärsubvention zählten die irakischen Streitkräfte zu den bestausgerüsteten Armeen der arabischen Welt. Doch Ende der siebziger Jahre verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Moskau und Bagdad. Der Kreml stoppte seine Waffenlieferungen. Die sowjetische “Neutralität” begünstigte nun die Iraner.
Die sowjetisch-iranischen Beziehungen schienen sich zu verbessern. Doch der islamische Fanatiker Khomeini war nicht gewillt, zu einem Satelliten des Kremls zu werden. Nach wie vor unterstützt Teheran die islamischen Rebellen in Afghanistan, was zu diplomatisch-politischen Komplikationen zwischen Moskau und dem Khomeini-Regime führte. Hinzu kam, dass der Kreml in den letzten Monaten seine Position Bagdad gegenüber aufs neue revidiert hatte. Sowjetische Waffenlieferungen trafen — wie in den siebziger Jahren — im Irak ein. Die UdSSR begann, dem Irak Panzer, Artilleriegeschütze, Raketen und Kampfflugzeuge vom Typ M1G-21, 23 und 25 zu liefern. Mit diesen massiven Rüstungen lassen sich die jüngsten militärischen Erfolge des Iraks auf dem Schlachtfeld erklären.
Der Iran begnügt sich nicht mit den US-Waffen, die seinerzeit dem Schah geliefert wurden. Teheran tätigt Waffeneinkäufe in Libyen, Syrien und Nordkorea. Die beiden letztgenannten Länder liefern Teheran für iranische Petrodollars sowjetische Waffen verschiedenen Typs.
Moskaus zynische Haltung im iranisch-irakischen Konflikt ist eine der wesentlichen Ursachen für das gespannte Verhältnis zwischen dem Kreml und dem Khomeini-Regime.     L.K.

[Aufbau, 1983.06.25, p. 9]

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