Rumänien: Antisemitismus auf dem Vormarsch

       Obwohl Rumänien das einzige Land des Sowjetblocks ist, das zu Israel diplomatische Beziehungen erhält, bedeutet diese Beziehung keineswegs, dass das Regime Ceausescu als judenfreundlich zu bezeichnen wäre. Während die Sowjetpresse schon ein Vierteljahrhundert lang offizielle antizionistische (faktisch aber antisemimitische) Propaganda betreibt, ist die rumänische Judenhetze 1.) nicht ausdrücklich gegen Israel gerichtet und trägt 2.) auch keinen systematischen Charakter wie in den anderen Ländern des “realen Sozialismus”.
Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebten in Rumänien 900.000 Juden. Etwa eine halbe Million kam im Holocaust um. Von den etwa 400.000 Überlebenden wanderten die meisten nach Israel oder Nordamerika aus. Zurzeit zählt die jüdische Gemeinschaft Rumäniens nicht mehr als 30.000 Personen (darunter gibt es viele ältere Leute im Ruhestand). Das jüdische Gemeindeleben Rumäniens lässt sich an Qualität mit dem der ungarischen Juden vergleichen. Nur in diesen beiden Ländern des Sowjetblocks gibt es geistige und geistliche Zentren des Judentums, mehrere Synagogen und jüdische Wohlfahrtsinstitutionen.
Trotz all dieser durchaus positiven Elemente der heutigen Judenpolitik Rumäniens, kommt es in Schrifttum und Presse von Zeit zu Zeit zu gehässigen antisemitischen Ausfällen. So erschien beispielsweise Anfang 1984 im Bukarester Staatsverlag “Albatros” ein Gedichtband eines gewissen Corneliu Tudor. Eine Reihe dieser “Gedichte” enthält infame Angriffe auf die rumänisch-jüdische Gemeinschaft und deren geistlichen Führer Rabbiner Moses Rosen.
Bedeutende jüdische Persönlichkeiten forderten, dass ihre Proteste gegen Corneliu Tudors Buch in der kommunistischen Presse veröffentlicht würden. Ausserdem verlangten die Vertreter der jüdischen Gemeinschaft des Landes, dass Tudor — in Übereinstimmung mit der rumänischen Verfassung — seiner rassistischen Angriffe wegen vor Gericht gebracht werde. Auf die jüdischen Proteste erfolgte offiziellerseits keine Antwort. Tudors Machwerk verschwand jedoch aus dem Buchhandel. Den verantwortlichen Leiter des Verlagshauses “Albatros” wurde von der Partei ein Verweis erteilt. Dem “Dichter” selbst aber wurde kein Haar gekrümmt. Rabbiner Rosen ist langjähriges Parlamentsmitglied. Schon 38 Jahre lang wirkt er an der Spitze des jüdischen Gemeindelebens in Rumänien. Rosen hat stets Präsident Ceausescus Politik unterstützt. Die rumänischen Juden waren und sind loyale Bürger ihres Staates. Ungeachtet dessen lassen sich in den letzten Jahren die Aktivitäten einer im Wachsen begriffenen Judenhetze beobachten.
Ende der siebziger Jahre wurden in den Statuten der kommunistischen Partei des Landes gewisse Änderungen vorgenomen. Parteimitglieder, die Verwandte im Ausland haben, dürfen neuerdings keine wichtigen Ämter mehr bekleiden. Die offizielle Bukarester Zeitschrift “Septamina” erklärte hierzu: “Schlüsselpositionen dürfen nur denen anvertraut werden, die in unserem Land jahrhundertelang gelebt haben und mit dem Land verwurzelt sind, nicht aber demokratischen Taranteln, die in ihrem übelriechenden Kaftan umherwandern. Wir brauchen keine Pseudo-Propheten, keine Judas-Typen, die dem rumänischen Opfergeist fremd sind”.
Dieser scheussliche antisemitische Artikel wurde von breiten Kreisen der rumänischen (jüdischen wie nichtjüdischen) Intellktuellen aufs schärfste verurteilt. Danach veröffentlichte das Redaktionskollegium der Zeitschrift einen beschwichtigenden Leitartikel.
Vor mehreren Jahren wurden im Verlag der Akademie der Wissenschaften die politischen Schriften Mihai Eminescus, des bedeutendsten rumänischen Dichters der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, veröffentlicht. Eminescus Haltung zur Judenfrage war oft zweideutig. Einerseits verurteilte er die Judenverfolgungen, andererseits sprach er sich aber gegen die Teilnahme der Juden am politischen Prozess des Landes aus. “Eine fahrende Bevölkerungsgruppe kann nicht zur Stabilität des Staates und zur nationalen Solidarität beitragen”, schrieb Eminescu. Der Redakteur der jüngsten Eminescu-Ausgabe rechtfertigte voll und ganz diese Ansichten des rumänischen Nationaldichters. Gegen diese Stellungnahme des Redakteurs erhob Rabbiner Rosen Protest.
Antisemitische Schriftsteller, insbesondere aber ein gewisser Eugene Barbu attackierten in der “Septamina” Rabbiner Rosen. Wie wage er es nur, die politischen Gedankengänge des rumänischen Klassikers Eminescu zu kritisieren! Die Juden- und westfeindlichen Literaten der Zeitschrift “Septamina” scheuen auch nicht davor zurück, in ihrer Publikation Rabbiner Rosens Rumänien-Treue in Frage zu stellen.
Am 24. April 1983 wurde in der Kulturbeilage des kommunistischen Jugendblatts “Scanteia Tineretulai” ein Artikel eines gewissen Mihai Pelin veröffentlicht. Die “Das ausländische Modell” betitelte Publikation greift aufs heftigste die sog. Avantgarde des Landes an. Sämtliche im Artikel genannten Namen waren die von Juden.
Die “Autoren” Tudor und Barbu veröffentlichten zu Beginn des Jahres antisemitische Progrom-“Poeme”. Nach Ansicht westlicher Beobachter unterscheiden sich diese Schriften kaum von den Hetzschriften der “Eisernen Garde”, der rumänischen Terrororganisation, die vor etwa 50 Jahren ihr Unwesen trieb. Doch die “Eiserne Garde” wurde damals sogar von rumänischen Konservativen verachtet und im Zaum gehalten.
Umso erstaunlicher ist es, dass sich im sozialistischen Rumänien die antisemitischen Symptome zunehmend häufen. Der Jude ist auch im heutigen Rumänien der Sündenbock für die wirtschaftliche Misere des Landes.

L.K.

[Aufbau Aug. 24, 1984. p.7]

INDEX   SCAN