Ist der Panamakanal noch wichtig?

Zu der hitzigen Debatte über den Wasserweg zwischen Atlantik und Pazifik

Im Februar 1974 trafen Staatssekretär Henry Kissinger und der damalige panamesische Aussenminister Juan Antonio Tack ein prinzipielles Übereinkommen über die Notwendigkeit der Erarbeitung eines neuen Vertrags für die Panamakanal-Zone. Aus den “Acht Grundsätzen”, über die sich die beiden Aussenminister einigten, geht eindeutig hervor, dass in Zukunft die Ausübung des Hoheitsrechts in der Kanalzone Panama zustehen wurde. Das Kissinger-Tack-Abkommen sieht hierfür keinen konkreten Termin vor.
Der blosse Gedanke an die Möglichkeit, dass die USA in absehbarer zeit auf ihre Hoheitsrechte in der Panamakanalzone verzichten wurden, hat schon seit 1974 in breiten Kreisen der amerikanischen ÖL;ffentlichkeit, insbesondere aber auf der Rechten, Entrüstung hervorgerufen. Viele Amerikaner sind der Ansicht, dass die Führung von Verhandlungen mit Panama über die Abschliessung eines neuen Vertrags der Veräusserung eines historisch erworbenen Rechtes und nationalen Besitzes gleichkomme.
Eine wohl nicht geringere Anzahl amerikanischer Bürger ist jedoch aufs tiefste davon überzeugt, dass es im Interesse der Vereinigten Staaten liegt, sich mit Panama auf gütlichem Wege über das künftige Schicksal des Kanals zu einigen.
In Panama greifen antiamerikanische, nationalistische Stimmungen immer mehr um sich. Schon 1964 kam es in der Kanalzone zu blutigen Auseinandersetzungen. Die Unruhen von 1964 forderten 24 Todesopfer (20 Panamesen und vier Amerikaner). Zur Zeit drohen die panamesischen Nationalsten, die Kanalzone anzugreifen, falls bis 1977 kein neuer Vertrag vorliegt.
In dieser emotionell erhitzten Atmosphäre hat der ehemalige Gouverneur von Kalifornien, Ronald Reagan, die Panama-Frage zu einer seiner wichtigsten Propagandaparolen im gegenwärtigen Wahlkampf gemacht. Reagan behauptet, dass der Panamakanal genauso unveräusserlicher Bestandteil der Vereinigten Staaten sei wie z. B. Alaska oder Louisiana. Er beschuldigt die Ford-Administration, hinter dem Rücken des amerikanischen Volkes Verhandlungen mit Panama zu führen, die den Verzicht auf das amerikanische Hoheitsrecht in der Kanalzone (den Kanal inbegriffen) zum Ziel hätten. Reagans Meinung nach müssten die Vereinigten Staaten, falls erforderlich, zu den Waffen greifen, um die Kanalzone vor einem etwaigen feindlichen An- griff zu schützen.
In der Hitze des Wahlgefechtes mit Reagan fühlte sich Gerald Ford genötigt, von seiner bisherigen gemässigten Position abzurücken. Er sagte: “Was den Panamakanal anbelangt, werden die Vereinigten Staaten ihre Verteidigungs- und Verwaltungsrechte nie aufgeben.”
Die Kanalzone ist zehn Meilen breit und 51 Meilen lang. Laut dem 1903 mit Panama abgeschlossenen Vertrag, verfügen die USA über alle Rechte — und zwar “für ewige Zeiten” —, die sie besitzen und ausüben würden, falls “das Territorium ihrer Souveränität unterstellt Wäre”.
Gerade dieser Wortlaut des Vertrages ist gegenwärtig in den USA zum Gegenstand einer heftigen politischen und juristischen Diskussion geworden. Ronald Reagan deutet diese Stelle des Vertrages in dem Sinne, das die Kanalzone souveränes Gebiet der USA sei. Reagan erklärt, kurz und bündig: “Wir haben den Kanal gebaut, wir haben dafür bezahlt, und wir werden ihn behalten.”
Das State Department unterscheidet jedoch zwischen dem auf Grund eines Vertrages erworbenen Recht auf Kontrolle und Nutzung eines fremden Gebiets und eigentlicher Souveränität. In Panama haben die die USA nicht das Territorium (wie z.B. in Louisiana und Alaska), sondern nur Sonderrechte auf Nutzung des Territoriums käuflich erworben.
Angesichts der so leidenschaftlich geführten Panama-Diskussion ist die Frage der gegenwärtigen militärischen Bedeutung des Kanals von besonderem Interesse. Nach Ansicht führender amerikanischer Militärexperten ist der Panamakanal im Atomzeitalter schon gewissermassen veraltet. Sogar während des Vietnamkrieges benutzten nur verhältnismassig wenige amerikanische Schiffe den Kanal. Grosse Öltanker und Flugzeugträger können ihn nicht passieren. Der Kanal ist in militärischer Hinsicht zweifellos nützlich, jedoch nicht von lebensnotwendiger Bedeutung. In Kriegszeiten könnte der Panamakanal durch Raketen, oder Bombenbeschuss ohne weiteres ausser Betrieb gesetzt werden. Die diesbezüglichen Reparaturen wurden mindestens zwei Jahre dauern.
Amerikanische Militärfachleute betonen, dass ein Abzug der US-Truppen aus der Kanalzone ein gefährliches Vakuum schaffen konnte. Feindliche Kräfte würden sicherlich den Versuch unternehmen, ein solches Vakuum zu füllen. Aus diesem Grunde ist eine amenkanische Präsenz in der PanamakanalZone notwendig.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Kanals ist für die USA gegenwärtig um ein wesentliches geringer, als es früher der Fall war. Der überwiegende Teil des Warenverkehrs zwischen der Ost- und Westkuste der Vereinigten Staaten geht per Bahn vonstatten oder auf der Landstrasse. Nur zwei Prozent des zwischen dem Atlantik und Pazifik kursierenden US Warenverkehrs bedienen sich des Panamakanals. Jedoch 70 Prozent der Schiffe, die den Kanal passieren, kommen aus Häfen der Vereinigten Staaten oder laufen US-Häfen an.
Bei Schliessung des Kanals würden in wirtschaftlicher Hinsicht Panama und seine 1.7 Million zählende Bevölkerung am meisten leiden.
Die amerikanischen und die panamesisehen Verhandlungspartner stimmen dann überein, dass drei Jahre nach Unterzeichnung eines neuen Vertrages Panama die Hoheitsrechte in der Kanalzone ausüben werde, einschliesslich Gerichtsbarkeit, Polizeidienst, Postwegen u.a. Die wichtigsten MeinungsVerschiedenheiten beziehen sich auf die Dauer des bisher gültigen Vertrages. Panama wäre eventuell einverstanden, den laufenden Vertrug bis zum Jahrhundertende zu dulden. Die USA akzeptieren die 25 Jahrperiode, bestehen aber auf einer militärischen Präsenz auch nach Ablauf dieser Frist.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstützt Panama voll und ganz. Viele Staatsmänner Lateinamerikas haben darauf hingewiesen, dass die Zukunft des Panamakanals jetzt zur Hauptfrage der westlichen Hemisphäre geworden ist. Es ist nun an der Zeit, eine realistische, für beide Seiten annehmbare Lösung des Problems dem Verhandlungswege auszuarbeiten. Man kann nur hoffen, dass sich Botschafter Bunkers Worte bewahrheiten werden und die Frage des Panamakanals “zu einem Beispiel der friedlichen und gegenseitig nützlichen Zusammenarbeit zweier Nationen, ungeachtet ihrer territoriallen Grösse, werden wird”.
L.K.

[Aufbau Jun. 11, 1976. p.2]

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