Philadelphia kontra Rom

Philadelphia kontra Rom

       In Rom hat eine aus ursprünglich acht (später zehn) Mitgliedern bestehende Kommission, die sich mit Fragen der künftigen jüdischen Auswanderung aus der UdSSR befasst hatte, ihre Arbeiten abgeschlossen. Die Kommission war Mitte August auf Initiative der Jewish Agency ins Leben gerufen worden. Man war um eine organisatorische Neuregelung bemüht, die den sowjetjudischen Auswanderern faktisch den Weg nach Amerika versperren sollte. Dem Ausschluss gehörten Vertreter der israelischen Regierung, der Jewish Agency und jüdisch-amerikanischer philanthropischer Organisationen an. Nach dreimonatigen intensiven Diskussionen hat nun die Zehn-Mann-Kommission eine Reihe von Vorschlagen vorgelegt, die darauf hinauslaufen, eine finanzielle Unterstützung nur den Auswanderern zuteil werden zu lassen, die den Wunsch haben, sich in Israel niederzulassen. Bezüglich derer, die in Wien die Absicht bekunden, sich in den Westen (hauptsachlich nach den USA) zu begeben, werden drastische Massnahmen empfohlen. Der HIAS und dem Joint Distribution Committee soll in Kürze untersagt werden, den sogenannten “drop-outs” Hilfe zu gewähren.
Mitte November tagte in Philadelphia eine Konferenz der grössten jüdisch-amerikanischen philanthropischen Organisationen. Die israelische Regierung hatte zwei Spitzenfunktionäre, Yehuda Avner und Nehemia Levanon, zur Konferenz entsandt, die damit beauftragt waren, den offiziellen Standpunkt Jerusalems zu vertreten. Obwohl keine bindenden Beschlüsse gefasst wurden, hat das Treffen in Philadelphia erwiesen, dass die Vorschläge der Zehn-Mann-Kommisson auf erheblichen Widerstand von Seiten des amerikanischen Judentums stossen. In unterrichteten Kreisen wird kaum damit gerechnet, dass die “Empfehlungen von Rom” irgendwelche Aussichten auf Erfolg haben.
In Philadelphia kollidierten die Ansichten einflussreicher jüdisch-amerikanischer Kreise mit denen der israelischen Regierung und der Jewish Agency. Rabbi Alexander Schindler, Vorsitzender der Conference of Presidents of Major Jewish Organizations, erklärte nachdrücklich: “Hauptsache ist, Juden zu retten. Uns muss es vor allem daran gelegen sein, Sowjetjuden zu helfen, die UdSSR zu verlassen. Die Frage, wohin sie sich danach begeben, ist von sekundärer Bedeutung.”
Der bekannte Schriftsteller Irving Howe sagte: “Bei der Durchführung unserer Solidaritätskampagne für das sowjetische Judentum hatten wir nicht ausschliesslich die Auswanderung nach Israel im Auge. In humanitärer Hinsicht geht es darum, die Juden aus der Gefahr zu erretten, die ihnen in der Sowjetunion droht.” Auf der Konferenz in Philadelphia stellte sich heraus, dass zahlreiche Vertreter jüdisch-amerikanischer Organisationen nicht geneigt sind, restriktive Immigrationsmassnahmen zu billigen. Sämtliche Vorstandsmitglieder des Joint sprachen sich gegen die in Rom erarbeiteten Vorschläge der Zehn-Mann-Kommission aus. Verantwortliche Leiter des HIAS widersetzten sich dem Vorschlag, die in Rom befindliche Zweigstelle dieser jüdischen Welthilfsorganisation zu liquidieren.
Schon jetzt ist es klar, dass der Versuch, sowjetjüdische Auswanderer durch finanziellen Druck zu zwingen, ausschliesslich nach Israel zu gehen, fehlgeschlagen ist. Dabei wird geltend gemacht, dass die Vorschläge von Rom dem demokratischen, freiheitlichen Geiste des Zionismus widersprechen.
Nach wie vor werden sowjetjüdische Emigranten, die aus verschiedenen Gründen sich in den Vereinigten Staat niederlassen wollen, auf die juristische und finanzielle Unterstützung durch jüdische Organisationen rechnen können. Hierbei sind jedoch gewisse strukturelle Änderungen durchaus möglich. Zur Zeit wird z.B. ein Plan erörtert, dem zufolge die “drop-outs” nach ihrer Ankunft in Wien als “Flüchtlinge aus Osteuropa” zu betrachten seien. Die US-Einwanderungsquote für Osteuropa (20,000 Einreisevisen) bleibt von Jahr zu Jahr unverwertet. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen hat Präsident Ford eine Verordnung unterzeichnet, die 4,5 Millionen Dollar zur finanziellen Unterstützung dieser Kategorie von Einwanderern bereitstellt. Diese brachliegende Geldquelle liesse sich eventuell für die Oberseeflüge, den Englischunterricht u.a.m. sowjetischer Emigranten benutzen.
Die Vorschläge der Zehn-MannKommission in Rom hätten dazu führen können, die Auswanderung aus der UdSSR zum Stillstand zu bringen. Die Konferenz in Philadelphia hat dazu beigetragen, diese Befürchtungen zu beseitigen.
L K.

[Aufbau Dec. 17, 1976. p.6]

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