Dreieck USA—UdSSR—China begünstigt Washington

1972 war ein entscheidender Wendepunkt in der Entwicklung der Beziehungen zwischen den Grossmächten. Nixons Pekingfahrt veranderte die globale Konstellation; die frühere sowjetisch-amerikanische Konfrontation wurde nicht völlig beseitigt, jedoch durch die Entstehung komplizierter triangulärer Beziehungen (Washington—Moskau—Peking) modifiziert. Das Vietnam-Debakel und der Watergate-Skandal beraubten die amerikanische Aussenpolitik ihrer Dynamik. Erst jetzt, wo das amerikanische Volk seine innere Krise überstanden zu haben scheint und Washington unter Präsident Carters Leitung auch in der Aussenpolitik wieder Selbstsicherheit offenbart, beginnt sich das globale Dreieck zugunsten der USA auszuwirken.
&AU Von dieser für Washington günstigen Änderung zeugt die jüngste Entwicklung der Beziehungen zwischen Moskau und Peking. Der Mitte Mai erschienene “Prawda”-Artikel, der die Welt vor dem chinesischen Militarismus warnt, zeigt erneut, dass der Tod von Mao Tse-tung und Tschou En-lai die Intensität des sowjetisch-chinesischen Konfliktes keineswegs vermindert hat. Das Paradoxon unserer Zeit besteht nun darin, dass jede der beiden kommunistischen Grossmächte bemüht ist, Washington als potentiellen Bundesgenossen für sich zu gewinnen. “Prawda” begnügt sich keineswegs mit vagen Anspielungen, sondern fordert den Westen direkt dazu auf, zusammen mit Moskau die “chinesische Gefahr” zu bannen Die Sowjetologen haben noch nicht ihr weises Wort gesprochen, aber schon jetzt ist es klar, dass diese jüngste Ereignis dem Begriff des “Weltkommunismus” den letzten entscheidenden Schlag versetzt.
Hua Kuo-feng hat seinerseits aus seinem Antisowjetismus kein Hehl gemacht. Der unlängst erschienene und von Hua persönlich sanktionierte fünfte Band der Werke Mao Tse-tungs enthält schärfste antisowjetische Attacken des verstorbenen chinesischen Führers.
Zbigniew Brzezinski hat noch vor mehreren Jahren im Hinblick auf das Dreieck Washington—Moskau—Peking treffend bemerkt: “Es ist von Nutzen, dass unsere Beziehungen zu den beiden anderen Mächten besser als deren Beziehungen zueinander sind.”
Für Peking ist Moskau der Feind Nr. eins. Aus diesem Grunde hat die chinesische Führung (vor und nach Maos Tode) vielfach darauf Stärkung des Nordatlantischen Bündnisses (als Gegengewicht zu Moskau) durchaus interessiert sei. Der jüngste “Prawda”-Artikel scheint darauf hinzudeuten, dass zur Zeit auch der Kreml China als Hauptfeind betrachtet.
In dieser Situation, in der sowohl die Chinesen als auch die Sowjets um Washingtons Haltung zu dem kommunistischen Rivalen sichtlich bangen, liegt es in dem Interesse der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Volkes, aus dem Dreieck maximalen Nutzen zu ziehen.
Vor allem liegt die Stärke der USA darin, dass beide kommunistischen Grossmächte, China wie die UdSSR, an modernster amerikanischer Technologie interessiert sind. Die Sowjets befürchten, Pekings Aggresivität werde durch amerikanische technologische Hilfe gesteigert. Mit dem gleichen Recht können auch die Intentionen des Kreml in Frage gestellt werden. Washington hat es bisher stets vermieden, den beiden kommunistihen Mächten rüstungstechnische Hilfe zu gewähren. Dieser Kurs dürfte auch künftig aufrechterhalten bleiben.
m Die Unabhängigkeit der amerikanischen Position innerhalb der komplizierten Dreiecks-Beziehungen kann nur dann gewahrt werden, wenn die USA weder einen antisowjetischen noch einen antichinesischen Kurs verfolgen.
Ohne Zweifel betont die Sowjetführung die “chinesische Gefahr” gerade jetzt, um im Dialog mit Washington die Notwendigkeit eines grösseren sowjetischen Waffenarsenals zu veranschaulichen. Doch ein derartiges sowjetisches Unterfangen wäre ein grober diplomatischer Fehlschlag. Es sind ja nicht Pekings Raketen, die den Westen bedrohen. Moskaus kolossale Aufrüstung wird dem Westen durch den Hinweis auf die gespannte Lage an der sowjetisch-chinesischen Grenze nicht plausibler. Die Intensivierung des sowjetisch-chinesische Konfliktes bezeugt von neuem die Richtigkeit der amerikanischen Position in den strategischen Verhandlungen mit Moskau. Die sich verschärfende sowjetisch-chinesische Rivalität ist ein indirektes Anzeichen dafür, dass sich Moskau früher oder später zu einem strategischen Kompromiss mit den USA bereit erklären wird. Davon zeugt auch die letzte Verhandlungsrunde Vance-Gromyko in Genf. Der Kreml ist keineswegs Anhänger eines Zwei-Fronten-Konzepts.

[Aufbau Jun. 10, 1977. p.7]

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