Ideologie und Praxis in der UdSSR

Im Jahre 1956 gab es in Polen und 1968 in der Tschechoslowakei zahlreiche Kommunisten, die an die Möglichkeit glaubten, das herrschende kommunistische Regime liberalisieren und demokratisieren zu können. Diese “Revisionisten” hofften, die kommunistische Weltanschauung mit ethischen Idealen vereinen zu können. Nach Ansicht eines der hervorragendsten Kenners der kommunistischen Welt und ihrer Probleme, des an der Universität Oxford tätigen polnischen Dissidenten Prof. Leszek Kolokowsky, haben die revisionisti- schen Bewegungen in Polen und in der Tschechoslowakei wesentlich zum Verfall des Stalinismus beigetragen. Darin bestehe ihre historische Rolle. Die Revisionisten in den Ländern Osteuropas gaben sich aber — wie Kolokowsky kürzlich in . . .

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Tatsache, dass die Bevölkerung der sozialistischen Länder die Erklärungen von Regierung und Partei oft auch dann als Propaganda abtut, wenn es sich um die nackte Wahrheit handelt. In diesem Zusammenhang betont Kolokowsky, dass man in den westlichen Ländern das volle Ausmass der Verlogenheit der kommunistischen Regimes nur selten begreift. “Repressalien können nach Wunsch verschärft oder gemildert werden. Das hängt von der konkreten Lage ab. Absolute Verlogenheit ist jedoch eine notwendige, permanente und invariable Voraussetzung für die Existenz der kommunistischen Macht”, meint Prof. Leszek Kolokowsky. Seltene Ausnahmen sind nicht typisch und bestätigen nur die Regel.
Der polnische Dissident hällt eine politische Reformbewegung, innerhalb der osteuropäischen Länder kaum für möglich. Hierfür seien der Zynismus und die machtpolitische Orientierung der Parteielite zu weit gediehen. Dagegen liegen vereinzelte Wirtschaftsreformen, falls sie sich als unumgänglich erweisen sollten, durchaus im Bereich des Möglichen.
Obwohl gegenwärtig die Repressalien in den Ländern des “real existierenden Sozialismus” weniger brutal sind, als es der Polizeiterror der Stalinperiode war, ist die Vergangenheit keineswegs überwunden worden. Falls sich der Kreml in seiner Machtposition aus irgendwelchen Gründen bedroht fühlen sollte, wird er nicht davor zurückschrecken, den uneingeschränkten Polizeiterror wieder einzuführen. Swetlana Allilujewa, Stalins Tochter, drückte das in ihrem Buch “20 Briefe an einen Freund” so aus: “Der Staatsterror in der Sowjetunion gleicht einem elektrischen Steckkontakt. Der Strom kann jederzeit — falls erforderlich — eingeschaltet werden.”             L. K.

[Aufbau Jan. 5, 1979. p.7]

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