Afghanistan: Zunehmender Widerstand gegen Sowjetarmee

Schon seit zwanzig Monaten bemüht sich die sowjetische Besatzungsarmee vergebens, die afghanische Aufstandsbewegung zu unterdrücken. Trotz systematischer Luft- und Artilleriebombardements, die zahlreiche Siedlungen dem Boden gleichgemacht haben, ist es dem Kreml bisher nicht gelungen, die afghanischen Rebellen, die von den breiten Bevölkerungsmassen des Landes unterstützt werden, einzuschüchtern. Das Kabuler Marionettenregime Babrak Karmals unternahm kürzlich den Versuch, die Stammesältesten durch ein allgemeines Amnestieangebot — im Falle der Aufgabe jeglichen Widerstandes für sich zu gewinnen. Aber auch dieser Befriedungsversuch erlitt ein völliges Fiasko.
Die einst über 100.000 Mann zählende afghanische Armee ist heute — laut Meldungen westlicher Korrespondenten — kaum noch kampffähig Sowjetische Bemühungen, das afghanische Militär zu reorganisieren, sind erfolglos geblieben. Die vom sowjetischen Oberkommando in der afghanischen Armee vorgenommenen “Säuberungsaktionen” haben die Soldaten und Offiziere nur noch mehr erbittert. Immer häufiger gehen afghanische Truppenteile zu den islamischen Rebellen über. Somit sind die Sowjets faktisch auf sich selbst angewiesen.
Zu Beginn der militärischen Intervention hielt die sowjetische Generalität es für möglich, Soldaten aus den mittelasiatischen Republiken der UdSSR (Tadschikistan, Usbekistan u.a.) nach Afghanistan abzukommandieren. Aber schon bald erwies sich, dass auf die mohammedanischen Sowjetsoldaten aus Mittelasien kein Verlass war. Sie waren nicht gewillt, ihre aufständischen Glaubensbrüder in Agfghanistan schonungslos zu bekämpfen. Zurzeit setzt sich die etwa 90.000 Mann starke sowjetische Besatzungsarmee fast ausschliesslich aus Russen, Bjelorussen und Ukrainern zusammen.
Die verhältnismässig schwach ausgerüsteten afghanischen Guerillas machen der sowjetischen Supermacht bedeutend mehr zu schaffen, als anfangs in militärischen Fachkreisen des Westens erwartet wurde. Den Sowjets ist es bisher nur gelungen, die grösseren Städte unter Kontrolle zu bringen. Aber auch dort kam es vielfach zu erbitterten Kämpfen. Kandahar und Herat wurden von Guerillaverbänden besetzt und mussten von den Besetzern zurückerobert werden. Verbindungswege zwischen den Städten werden oft wochenlang durch die Aufständischen blockiert. Mitte Juli kam es zu heftigen Kämpfen in Paghman, nur 16 Meilen von Kabul entfernt. 300 afghanischen Kadetten wurde von Kabul der Befehl erteilt, die Rebellen einzukreisen. Die Mission der Kadetten schlug fehl. Sie wurden ihrerseits von den Guerillas umzingelt und — durch Lautsprecher — vor die Wahl gestellt, sich entweder den Aufständischen anzuschliessen oder ihr Leben einzubüssen. Aus diplomatischen Kreisen verlautet, dass 200 Kadetten zu den Guerillas übergingen. Die übrigen 100 wurden niedergeschossen.
Selbstverständlich gibt es keine zuverlässigen statistischen Angaben über die sowjetischen Verluste. Die diesbezüglichen von westlichen Militärfachleuten angegebenen Ziffern gehen weit auseinander. Amerikanischen und britischen Quellen zufolge haben die sowjetischen Streitkräfte — seit Beginn der Invasion im Dezember 1979 — erhebliche Verluste erlitten (8.000-12.000 Gefallene und Verwundete). Schwedische Beobachter nennen in diesem Zusammenhang bedeutend niedrigere Ziffern. Etwa zwei Millionen Afghaner haben ihre Heimat verlassen und fristen ein klägliches Dasein in pakistanischen Flüchtlingslagern.
Vor Angriffen auf Städte und Dörfer, die unter Kontrolle der Guerillas stehen, unternehmen die Sowjets Warnflüge. Flugblätter werden abgeworfen, die die Zivilbevölkerung auffordern, den “Banditen” (d.h. den Guerillas) jegliche Hilfe zu versagen. Diese Aufrufe sind jedoch unwirksam. Die Bevölkerung unterstützt die Aufständischen, obwohl sie hierbei das Leben aufs Spiel setzt. Die rebellischen Dörfer und Siedlungen werden durch Luft- und Artillerieeinsatz der sowjetischen Besatzer vernichtet.
Um die Zivilbevölkerung zu schonen, bemühen sich die Guerillas, die Dorfbewohner dazu zu veranlassen, ihrer Häuser rechtzeitig zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Kürzlich haben die Russen eine gemeinsame sowjetisch-afghanische Militärkommission ins Leben gerufen, deren Aufgabe es ist, die für die Aufständischen bestimmten Waffenlieferungen abzufangen. Wegen der andauernden Konflikte zwischen den zwei feindlichen Fraktionen innerhalb der kommunistischen Partei Afghanistans (Parchemi und Khalqi) konnte die Kommission jedoch bisher keine Erfolge verzeichnen.
Obwohl es den verschiedenen Gruppierungen der Aufständischen nicht gelang, sich auf ein gemeinsames Militärkommando zu einigen, brachten sie ihrem technisch und zahlenmässig überlegenen Gegner erhebliche Verluste bei. Die sechs verschiedenen afghanischen Guerillaverbände werden mit chinesischen, ägyptischen, iranischen u.a. Waffen beliefert. Den afghanischen Rebellen mangelt es aber völlig an Luft- und Panzerabwehrraketen. Afghanistan lässt sich nicht mit Vietnam vergleichen. Hanoi und der Vietcong wurden von Moskau und Peking mit einem unaufhaltsamen Waffenstrom versorgt. Die beiden feindlichen kommunistischen Grossmächte machten aus ihren Waffenlieferungen für das “heroische Vietnam” kein Hehl. Die afghanischen Guerillas werden dagegen nur auf dem Geheimwege mit Waffen versehen.
Was den Kampfgeist der Afghaner anbetrifft, so stehen sie den Vietnamesen keineswegs nach. Aber der Mangel an Koordinierung und Einheitlichkeit wirkt sich natürlich auch auf militärischem Gebiete aus. Umso bemerkenswerter ist es, dass es der sowjetischen Supermacht bisher nicht gelungen ist, in Afghanistan entscheidende Erfolge zu erzielen.       L.K.

[Aufbau Aug. 28, 1981. p.5]

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