Signale aus Peking
Hintergründe der China-Reise von Richard Nixon
Von ROBERT HERZENBERG
Die psychologischen Motive, von denen sich Richard Nixon bei seiner kürzlichen China-Reise leiten liess, sind leicht durchschaubar. Das persönliche Geltungsbedürfnis des Ex-Präsidenten ist eine durchaus plausible Erklärung für seine “Privatreise”. Von politischem Interesse ist dagegen die Klärung der Ursachen, die die maoistische Führung veranlasst haben. Nixon gerade jetzt (vier Jahre nach Unterzeichnung des Schanghai-Kommuniqués) nach Peking einzuladen. Obwohl Nixons China-Impressionen der amerikanischen Öffentlichkeit noch nicht bekannt sind, hat es nicht an unmissverständlichen Signalen der Pekinger Presse geteillt. Die Verschärfung der antisowjetischen Kampagne in China und die erneuten Angriffe auf die amerikanisch-sowjetische Détente bieten einen deutlichen Hinweis auf die aussenpolitischen Zusammenhänge, die der Einladung zugrunde lagen.
Peking hat damit versucht, die Ford-Administration vor einer weiteren Intensivierung der Détente mit Moskau zu warnen. Hua Kuo-feng, der stellvertretende Premierminister der Volksrepublik China, hat in seiner Ansprache während eines Banketts zu Ehren Nixons die aussenpolitische Position seines Landes klar umrissen. Laut Hua liegt die Verbesserung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen im Interesse beider Völker. Der Weltfrieden ist, nach Huas Ansicht, durch die Expansionsbestrebungen der imperialistischen Grossmacht, die sich zu Unrecht “sozialistisch” nenne, gefährdet. Höchste Wachsamkeit sei geboten, und die Einheit der Völker müsse gestärkt werden, hiess es weiter. Schliesslich verglich Hua die Kremlherren mit Hitler und seinen Methoden.
Im Verlauf der vielstündigen Gespräche, die Nixon mit Hua und Mao führte, wurden ihm zweifellos diese Hauptthesen aufs genaueste erläutert und die Argumente für eine weitere amerikanisch-chinesische Annäherung vorgebracht.
Wie aus chinesischen Presseattakken gegen die Schlussakte von Helsinki hervorgeht, lässt sich annehmen, dass auch dieses Thema Nixon vorgetragen wurde. Peking ist in nicht geringerem Mass als Moskau sich dessen bewusst, worin die wahre Bedeutung des Abschlusses der Europäischen Sicherheitskonferenz für den Kreml besteht und sieht in der Sanktionierung der sowjetischen Einflussphären m Europa durch die Westmächte einen bedeutsamen Erfolg der sowjetischen Diplomatie.
Ein weiteres Signal, das auf dem Nixon-Umweg Washington übermittelt wurde, bezieht sich auf die allzu langsame Verwirklichung des vor vier Jahren von Nixon und Chou En-lai unterzeichneten Kommuniqués von Schanghai. Laut diesem Abkommen haben sich die USA verpflichtet, ihre militärische Präsenz auf Taiwan schrittweise abzubauen (zur Zeit sind dort 2800 Mann starke US-Truppen stationiert). Nach chinesischer Auffassung ist eine völlige Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China erst nach Abzug sämtlicher US-Truppen möglich. Ein modus vivendi wäre jedoch unter bestimmten Umständen durchaus erreichbar. Die Taiwan-Frage ist für die Maoisten zur Zeit keineswegs ausschlaggebend, vielmehr hat die einseitige Détente-Politik Washingtons die chinesische Führung dazu veranlasst, die amerikanische Präsenz in Nationalchina in Anwesenheit Nixons zu akzentuieren.
Während seiner Bankettrede hat Premier Hua aus der gegenwärtig in China immer intensiver werdenden “revolutionären Debatte” (einem faktischen Machtkampf) kein Hehl gemacht, wobei sich ergab, dass Hua nicht weniger antisowjetisch gestimmt ist, als der in Ungnade gefallene Teng Hsiao-ping. Besonders krass trat das bei einem kürzlichen Peking-Besuch zweier konservativer deutscher Bundestagsabgeordneter in Erscheinung. Im Gespräch mit seinen Gästen verwies Hua darauf, dass Chabarowsk und Wladiwostok ehemalige chinesische Städte seien und einst chinesische Namen getragen hätten. Ferner vermerkte der chinesische Premier, dass es diesen beiden chinesischen Städten im Fernen Osten ähnlich ergangen sei wie Königsberg, das von den Sowjets auf Kaliningrad “umgetauft” worden sei.
Der innenpolitische Kampf zwischen den Gemässigten und den Extremisten hat sogar zu einer Verschärfung des Antisowjetismus geführt. Teng wird beschuldigt, den “kapitalistischen Weg” eingeschlagen zu haben und dem “sowjetischen Gulasch-Kommunismus” folgen zu wollen. Nach Maos Ansicht haben die Sowjetführer die Diktatur des Proletariats durch eine Diktatur der Bürokratie ersetzt und dadurch an der Sache der Revolution Verrat geübt.
Von Interesse ist die Tatsache, dass Nixons Aufenthalt in China sowohl Washington als auch Moskau irritiert hat. Aber im Gegensatz zu manchen amerikanischen politischen Beobachtern erblickt Moskau im gegenwärtigen Machtkampf in China keinerlei pro-sowjetischcn Lichtpunkt. Was China anbelangt, gibt man sich in der Sowjetunion keinen Illusionen hin.
[Aufbau Mar. 26, 1976. p.5]