Sowjetjuden in den USA

Die Zahl der sowjetischen Emigranten, die in den USA Aufnahme gefunden haben, ist in stetem Anwachsen begriffen. Die trockener Ziffern des neuesten vorliegender HIAS-Berichtes geben Aufschluss über berufliche Zusammensetzung Alterskategorien und geographische Herkunft der Sowjetemigranten.
Bis Ende 1979 dürfte sich die Gesamtzahl der in den USA lebenden Sowjetauswanderer auf mindestens 65,000 belaufen. Allein im Vorjahre trafen 12,265 von der HIAS betreute sowjetjüdische Emigrantenin den Vereinigten Staaten ein (1977 waren es nur 6842). Da ausser der HIAS auch noch andere internationale Hilfsorganisationen (Raw Tow, International Rescue Committee, Tolstoi Foundation) sowjetischen Flüchtlingen in Westeuropa zur Auswanderung nach Amerika verhelfen, dürfte die Endziffer noch wesentlich höher liegen. Im laufenden Jahre werden etwa30,000 Sowjetjuden jin den Vereinigten Staaten erwartet.
1978 wurden die 12,265 HIAS-Neuankömmlinge (mit Hilfe der amerikanisch-jüdischen Gemeinden) in 40 Bundesstaaten aufgenommen. Während der ersten vier bis sechs Monate werden die sowjetjüdischen Immigranten von den Gemeindeorganisationen finanziert (die Ausgaben für Hotel Unterkunft, Nahrungsmittel, Englischkurse u.a. werden von der US-Regierung und den jüdischen Gemeinden getragen). Die meisten Einwanderer aus der UdSSR finden schon nach wenigen Monaten Arbeit und werden damit finanziell selbständig. Freilich gibt es auch eine geringe Zahl, deren Arbeitssuche aus diesem oder jenem Grunde erfolglos bleibt und die schliesslich zu Wohlfahrtsempfängern werden.
Der grösste Teil der Flüchtlinge aus der UdSSR ist in New York City ansässig (1978 waren es 6986). Weiter folgen, laut Angaben für das verflossene Jahr: Chicago — 1407; Los Angeles — 1048; Philadelphia — 744; Cleveland — 511. Aufnahme und Betreuung finden Sowjetjuden auch in mittelgrossen und kleinen Städten wie Salem (Massachusetts), Corpus Christi (Texas), Haggerstown (Maryland) u.a.
In beruflicher Hinsicht sind 48 Prozent der arbeitsfähigen Sowjeteinwanderer Akademiker (Vertreter freier Berufe — 24 Prozent, Ingenieure und hochqualifizierte Techniker — gleichfalls 24 Prozent). 1978 trafen aus der Sowjetunion 3460 Ärzte und Krankenschwestern ein. Etwa 17 Prozent wiesen sich als “qualifizierte Arbeiter” aus.
Der Akklimatisierungsprozess in der neuen Umgebung ist selbstverständlich nicht leicht. Oft müssen die Flüchtlinge sich entschliessen, auf einen neuen Beruf umzusatteln. Unter den Angehörigen der freien Berufe haben es die Ärzte da besonders schwer. Relativ wenigen von ihnen gelang es bisher, die schweren Medizin- und englischen Sprachprüfungen zu bestehen. Ärzte aus Pakistan, Indien, den Philippinen and anderen Ländern der Dritten Welt haben es in dieser’ Hinsicht leichter, da ihre Englisch Kenntnisse meist besser sind als die der Sowjet Juden.
Unter den sowjetjüdischen Einwanderern gibt es eine ganze Reihe national anerkannter Gelehrten, deren wissenschaftliches Niveau ihren Lehrstellen an amerikanischen Universitäten von vornherein sichert. An der Cornell University unterrichten heute sieben sowjetjüdische Immigranten. An der New York University sind der Physiker Leonid Rosenstein und der Mathematiker Valentin Turtscin (bekannter Dissident, Nichtjude) tätig. Die Princeton University hat den hervorragenden Wirtschaftsexperten Aron Kazenelenbogen zur Lehrtätigkeit herangezogen.
In Houston arbeiten mehrere sowjetjüdische Ingenieure als Erdölspezialisten und auch auf dem Gebiete der Kunst, Literatur und Musik begegnet man sowjetjüdischen Emigranten.
Dem jüngsten HIAS-Berichte zufolge stehen Menschen im Altersbereich von 31 bis 40 Jahren an erster Stelle. Arbeitsfähige der Altersstufen zwischen 21 und 60 Jahren stellen 58 Prozent der Gesamtzahl aller Sowjeteinwanderer.

[Anbau Jul. 20, 1979. p.7]

 SCAN